28 AUSGABE 1 // 2022 Die Schnuller-Parallele Wir machen uns selbst zum „Schnuller“. Der Hund wird gestreichelt, angesprochen oder auf den Schoß genommen, wenn er unglücklich ist. Das hilft. So entsteht ein Problemlösungsverhalten: Wenn ich mich nicht wohl fühle, suche ich die Nähe zu Frauchen oder Herrchen. Das ist ähnlich wie bei einem Baby: Wenn es weint, bekommt es den Schnuller, der beruhigt und damit wird der Schnuller zur Problemlösung. Aber was, wenn es eben gerade das Problem ist, dass der Schnuller fehlt? Eltern von zweibeinigen „Welpen“ können davon ein Lied singen. Eine gefühlte Ewigkeit kann es dauern, bis man endlich den Schnuller gefunden hat und das laute Babyweinen verstummt. Eine Analyse der Beziehung von Hund und Halter steht am Anfang. Genauso geht es dem Hund. Sein Problem ist aber jetzt, dass sein Mensch weg ist. Und die gängige Lösung für Stress lautete bisher, die Nähe zur Bezugsperson aufzusuchen. Und schon befinden wir uns in einer Endlos- schleife, in deren Mitte Verzweiflung und Angst stehen. SRD ist nicht Trennungsangst! Jeder Hund ist anders. Keine Therapie gegen Trennungsangst läuft gleich. Nicht umsonst ist der Begriff „Separation Anxiety“ aus den Fachbegriffen gestri- chen und durch „Separation Related Distress (SRD)“ ersetzt worden. Es gibt Trennungsangst, aber es gibt auch Trennungsfrust oder Trennungswut. Erst Beziehungsarbeit, dann Trennung üben Wenn also der Mensch, seine Nähe, der Augenkontakt, das Berühren und Angespro- chen werden eine Art Droge sind, die zur Entspannung führt, dann ist es ein kalter Entzug, wenn man einfach die Wohnung ver- lässt. Kein Wunder also, dass zeitraubende Therapie-Methoden selten zum Erfolg führen, wenn die Beziehung außen vor bleibt. Die Lösung: Bevor der Patient allein gelassen werden kann, muss erst einmal gelernt werden, dass „für sich sein“ nichts Schlimmes ist. Dazu gehört die körperliche, aber vordem auch die emotionale Trennung. Und das er- fordert vor allem vom Besitzer großes Einfüh- lungsvermögen, Geduld und Selbstdisziplin. Wir sind Kaffeeautomaten für unseren Hund Fragt man den Halter eines solchen Patien- ten, ob sie der Meinung sind, dass der Hund sie manipuliert, wird dies oft verneint. Aber das Verhalten der Tiere in der Praxis während einer Therapiestunde zeigt eine andere Wahrheit: Hier wird auf jedes Winseln mit Augenkontakt reagiert, jede Annäherung wird mit einer Berührung quit- tiert und weitere Aufforderungen auch mit ganzen Sätzen beantwortet. Man kommuni- ziert. Man ist in Verbindung. Ohne es zu merken, hat man sich zum Kaffeeautomaten für den Hund gemacht. Was immer gedrückt wird – Latte, Espresso oder Cappuccino –, der liebende Hundebe- sitzer spuckt es aus. Das macht Spaß, das ist unterhaltend und es kaschiert das eigent- liche Problem: nämlich, dass viele Hunde in der Wohnung, aber auch anderswo gar nicht entspannen können. Richtig schlafen kann der Hund tagsüber erst, wenn er mit dem Rücken oder dem Kopf auf bzw. an dem Körper seines Menschen liegt – und wenn es nur dessen Füße sind.